Schnäppchen


Die silbernen Fähnchen flackern im Wind, als würden sie einem zuzwinkern. Hier sind sie richtig, hier zwinkern alle, die Verkäufer, die Käufer, die auf Hochglanz polierten Autos. Und alle tun ihr Bestes, um ihr richtiges Alter nicht zu verraten, um die kleinen Risse und Rostflecken zu verbergen, die sich im Laufe der Zeit auf und unter der Oberfläche gebildet haben.
”Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?” fragt der Verkäufer grinsend und zack – schon zwinkert er. Das Schild auf seinem blauen Jackett besagt, dass er Christian Ohnesorg heisst, und weiter, dass Christian Ohnesorg ”für Sie das Beste findet”. ”Sie” ist in diesem Falle Katarina Mollbach, die an ihrer gelben Bluse zupft, und die gern einen Kaffee trinken möchte, am liebsten würde sie dazu eine Zigarette rauchen, aber das sagt sie nicht, sie zupft nur an ihrer Bluse, wie sie es immer tut, wenn sie nervös ist.
”Milch oder Zucker?” fragt Christian und es klingt als würde er fragen, ob sie lieber oben oder unten liegt.
”Schwarz” sagt Katarina und als Christian sich abwendet, um den Kaffee zu holen, schaut sie auf seinen dreißigjährigen Hintern, der die Jeans perfekt ausfüllt und ihr ebenfalls zuzuzwinkern scheint. Katarinas Wangen sind immer noch rot, als Christian wiederkommt und ihr eine Tasse mit dem Firmenlogo entgegen hält.
”Hm”, sagt Katarina nach dem ersten Schluck, obwohl der Kaffee abgestanden und säuerlich schmeckt. ”Ja, der ist gut, nicht wahr?” grinst Christian. ”Ich hatte schon drei Tassen heute”, sagt er. ”Wenn ich noch eine trinke, müssten Sie mich bändigen.” Mit ihren Hundert Kilo wäre es für sie keine Schwierigkeit, denkt er, aber das sagt er nicht, er grinst sie nur weiter an, wie er es immer tut, wenn er angeekelt ist.
”Suchen Sie etwas bestimmtes?”, fragt Christian Ohnesorg und anstelle einer Antwort lächelt Katarina verlegen und zuckt mit den Schultern.
“Na, dann kommen Sie mal mit”, sagt Christian und führt sie zu einem großen, glänzenden Fünftürer. “Bietet viel Platz, sehr komfortabel”, sagt er und öffnet die Fahrertür.
Katarina steigt ein und versinkt im Sitz, ihre Füsse kommen kaum an die Pedale. Im Rückspiegel sieht sie die leeren Sitze, die wie Türme hoch ragen.
“Sie können so viel einkaufen, wie Sie wollen, hier kriegen Sie alles unter”, sagt Christian. “Eine Großfamilie kann hier problemlos Platz finden”. Natürlich hat er bemerkt, dass an Katarinas Finger kein Ehering zu finden ist. Katarina steigt aus und schüttelt den Kopf.
“Groß ist er, das kann man wohl sagen”, gibt sie zu. Aber Katarina will keinen Wagen, in dem man verstecken spielen kann, und ihre Einkäufe passen in eine Tüte. Sie will nichts großes, sie will etwas gemütliches, etwas zum Wohl fühlen.
“Das kann ich absolut verstehen”, sagt Christian, legt einen Arm um sie und führt sie weiter. “Da hab ich das richtige für Sie”, sagt er. Der nächste Wagen ist ein Zweitürer, mit einer türkisfarbenen Lackierung. Katarina reicht ihm ihre Kaffeetasse und zwängt sich hinein, bemüht, die Mühe, die es ihr macht, zu verbergen. Drinnen sind die Sitze aus quietschendem Kunststoff, es riecht nach Putzmittel. Katarina fängt an zu schwitzen.
“Der perfekte Wagen für eine Frau”, sagt Christian und grinst. “Sehr pflegeleicht”, sagt er und erklärt ihr die Vorteile des Kunststoffs. Das Gel in seinen Haaren reflektiert die Sonnenstrahlen wie die zwinkernden Fähnchen. Katarina zwängt sich wieder hinaus und nimmt ihren Kaffee entgegen. Sie sagt nicht, dass das Auto zu klein für sie ist, sie zupft an ihrer Bluse. “Die Farbe ist ziemlich grell”, sagt sie. Sie sei allergisch gegen Kunststoff, sagt sie. Sie will nichts künstliches, sie will etwas authentisches, etwas originelles, etwas besonderes. Das kann Christian Ohnesorg verstehen. “Eine schöne Kette haben sie da”, bemerkt er. “Ich hab da was Schickes, das wird Ihnen bestimmt gefallen”, sagt Christian – zwinker, zwinker – und führt sie zu einem weiteren Wagen. Katarina bemerkt, dass seine hintere Hosentasche die Naht verliert.
“Ist das nicht ein Prachtstück?” Christian zeigt auf das Auto.
“Sehr Hübsch”, gibt sie zu.
“Die Sitze sind aus Leder, die Armatur aus Eiche.” Christian verschweigt, dass der Wagen Benzin frisst wie Termiten Holz. Dass der Motor ab und zu Schwierigkeiten macht und Ersatzteile teuer sind. Statt dessen bittet er Katarina Platz zu nehmen.
“Sie werden sich wie eine Königin fühlen”, sagt Christian. “Das ist ein wahres Männermagnet”, zwinkert er. Während sie Platz nimmt, schaut er sich um. “Lassen Sie sich Zeit, ich bin gleich wieder da”, sagt er und verschwindet. Als Katarina sich in den Wagen setzt, fühlt sie sich nicht wie eine Königin, sie fühlt sich wie Aschenputtel. Sie sieht wie Christian Ohnesorg einem Ehepaar mit zwei Kindern den Kombi vorführt. Die Fähnchen flattern im Wind, die Sonne lässt das Armaturenholz glänzen.
“Ein schicker Wagen”, sagt jemand im Vorbeigehen. Doch Katarina sucht nicht unbedingt nach etwas Schickem. Sie sucht nach etwas verläßlichem, etwas langfristigem. Sie steigt aus und sieht wie Christian Ohnesorg ihr zuwinkt, sie solle noch kurz warten. Wolken verdecken die Sonne und die Fähnchen sehen nicht mehr silbern, sonder grau aus. Katarina nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse, der Kaffee ist kalt geworden. Zeit für eine Zigarette.

2007